Industriestandort erhalten: Ja - Energie subventionieren: Nein
Sehr geehrter Herr Bundesminister Habeck,
wir begrüßen Ihre Initiative, einen wettbewerbsfähigen Industriestandort Deutschland zu erhalten. Dazu sind im Arbeitspapier des BMWK vom 5.5.2023 einige notwendige Maßnahmen adressiert, die eine günstige Stromversorgung der Industrie auf Basis erneuerbarer Energien erleichtern sollen. Wir halten aber eine längerfristige Subventionierung von Industriestrompreisen (bis 2030) für den komplett falschen Weg. Diese Subventionen werden mehr Schaden anrichten als Nutzen stiften. Dazu im Einzelnen:
Das Industrieland Deutschland ist wie wenige andere Länder auf internationale Arbeitsteilung und Warenverkehr ausgerichtet. Der Vorteil der Arbeitsteilung besteht darin, die jeweiligen länderspezifischen Standortvorteile für eine kostenoptimierte Herstellung zu nutzen.
Wenn sich die Standortbedingungen durch den Abbruch von Lieferketten und die Notwendigkeiten zum Klimaschutz verändern, ist es rational, auch die Veränderungen in Bezug auf standortspezifische Produktionsbedingungen im Grundsatz zu akzeptieren und nicht eine Zementierung des Status quo durch gigantische Subventionsvolumina zu betreiben. Das gilt jedenfalls soweit, wie genügend Wertschöpfungsketten und Arbeitsplätze im Land verbleiben oder hinzugewonnen werden können. Das trifft in Deutschland in großem Umfang zu.
Nicht jede energieintensive Grundstoffproduktion muss in Deutschland verbleiben. Z.B. Aluminiumherstellung, Rohstahlgewinnung und Ammoniakproduktion sollten dort stattfinden, wo die günstigsten Standortbedingungen herrschen. Es ist zuerst zu prüfen, ob wir bestimmte Prozesse z.B. in der chemischen Industrie oder bei Halbleitern im Land behalten wollen/müssen als Voraussetzung für nachfolgende Prozessketten oder zum Schutz vor gefährlichen Abhängigkeiten. Das trifft für viele Commodities eher nicht zu. <
Es ist sicher notwendig, vorrangig durch Beseitigung bürokratischer Hemmnisse den Industriestandort Deutschland attraktiv zu halten. Wenn darüber hinaus gezielt technologiespezifische Förderung aus Haushaltsmitteln notwendig sein sollte, darf sich das aber auf keinen Fall auf Energiepreissubventionen erstrecken, weil dem klimagerechten Umbau der Industrie direkt entgegenwirkt.
Zahlreiche energieintensive Produkte werden nur regional hergestellt und verwendet, wenn das Gewicht oder Volumen in Relation zum Warenwert keinen weiten Transport erlaubt. Dazu gehören viele Baustoffe, Lebensmittel oder Hygienepapier. Es macht keinen Sinn, durch Energiepreissubvention diese Produktpreise niedrig zu halten. Denn das unterläuft Innovation in der Produktherstellung oder beim Austausch von energieintensiven Produkten durch weniger energieintensive Produkte (Holz statt Beton, Zellulosedämmstoffe statt PU-Schaum etc.) Soweit durch die Preisveränderungen soziale Belastungen und Verwerfungen drohen, muss das durch Sozialpolitik ausgeglichen werden, aber nicht durch innovationshemmende Energiepreissubventionen.
2005 wurde das europäische Emissionshandelssystem (ETS) etabliert, um die externen Kosten energie- und prozessbedingter Emissionen von Großanlagen verursachungsgerecht in die Produktpreise zu integrieren. Es war seit der letzten Legislaturperiode politischer Konsens, weitere fossile Energieträger wie Heizstoffe und Kraftstoffe schrittweise an das ETS anzunähern und letztlich zu integrieren. Die verursachungsgerechte Bepreisung und Begrenzung von Emissionen gilt seit langem als DAS zentrale Instrument der Klimapolitik.
Es gab in 2022 ein gewisses Verständnis, die abrupte Explosion einiger Energiepreise für wenige Monate sozialpolitisch und industriepolitisch abzufedern. Aber ein hochsubventionierter „Brückenstrompreis“ bis 2030 konterkariert für lange Zeit genau die Anstrengungen, die das Emissionshandelssystem hier endlich auslösen sollte. Der Preisschock in 2022 hat in der Industrie bereits zu einem erheblichen Umdenken geführt. Man hat erkannt, wie ausgeliefert und hilflos man ist, wenn man auf Energie aus autokratisch regierten Ländern vertraut. Seit dieser Zeit haben allein bei WestfalenWind etwa 30 große Firmen um Kooperation für eine verlässliche Versorgung auf Basis erneuerbarer Energien nachgefragt. Das hat auch in der örtlichen Politik schon partiell zu einem Umdenken geführt. Die Ausweisung von Windgebieten zur Versorgung der jeweils heimischen Industrie bekommt Priorität. Die Ankündigung eines auf Jahre garantierten festen Strompreises von 6 ct/kWh würde all das auf einen Schlag zunichte machen und es würde genau die Firmen belohnen, die bisher zwar gejammert aber nichts gemacht haben. Und davon gibt es auch eine ganze Reihe. Der LEE NRW hat für Thyssen in Duisburg ermittelt, das 25% des Strombedarfs dort allein durch Windenergie auf den eigenen ausgedehnten Firmengeländen erzeugt werden könnten. Thyssen hat das als nicht relevant abgetan. Eine große Bielefelder Eisengießerei hatte im letzten Jahr in der Presse beklagt, sie könne ihren Standort nur halten, wenn sie 45 GWh/a günstigen Strom beziehen könne. Auf das Angebot von WestfalenWind, diesen Strom kostengünstig zu liefern, wenn die Gießerei gemeinsam mit WestfalenWind beim Bürgermeister für die Freigabe der notwendigen Standorte vorsprechen würde, hat man dort nicht reagiert. Betrachtet man Deutschland von oben, stellt man fest, dass bislang die wenigsten Betriebe ihren großen Dachflächen, Fassaden, Freiflächen oder Parkplätze mit PV bestückt haben, obwohl sich das dort hervorragend rechnen würde. Es kann nicht sein, dass die Faulheit von Firmenchefs künftig kompensiert wird durch staatliche Subventionen!
Die Wegnahme von Innovationsdruck durch Energiepreissubventionen führt auf lange Sicht genau zum Gegenteil dessen, was beabsichtigt ist. Die Firmen verharren im Status quo und verlieren international den Anschluss. (Marcel Fratzscher DIW) Genau das war auch das Ergebnis der Intervention von Angela Merkel, als sie sich in Brüssel gegen die Verschärfung von Emissionsgrenzwerten im Sinne der Autolobby stark gemacht hat. Unsere Autoindustrie hat derzeit alle Mühe, den Rückstand aufzuholen und es ist noch keineswegs sicher, ob ihr das gelingen wird.
Selbstverständlich müssen alle Voraussetzungen geschaffen werden, dass sich Verbraucher und Industrie so kostengünstig wie möglich mit Erneuerbaren Energien versorgen können. Dazu müssen eine Reihe schwerwiegender Fehler der aktuellen und von früheren Bundesregierungen korrigiert werden:
- wenn von einigen Projektierern für Windstandorte Pachten bis zu 30 % der Umsatzerlöse bezahlt werden, ist das ein direktes Maß dafür, um wieviel die EEG-Vergütung für Windstrom zu hoch ist. Statt das zu korrigieren, hat die Bundesregierung jetzt die Höchstpreisgrenzen für die Ausschreibungen nochmal hochgesetzt. Genau das macht Industriekooperationen fast unmöglich. Warum sollen Windstromerzeuger der Industrie kostenorientiert Strom anbieten, wenn durch das EEG deutlich höhere Erlöse erzielt werden können? Der verzögerte Ausbau der Windenergie ist nicht eine Folge zu geringer Margen sondern das Ergebnis verzögerter Planungs- und Genehmigungsprozesse.
- Das Referenzertragsmodell für Windenergie im EEG war ursprünglich gedacht als Anpassung der Vergütung an die jeweilige Ertragskraft von Windstandorten. (höhere Vergütung an Standorten mit geringerem Energieertrag). Faktisch führt aber das Modell dazu, dass gute Standorte so dicht bebaut werden, dass der Ertrag deutlich sinkt. (Schlechter Parkwirkungsgrad) Das wird durch das EEG ausgeglichen und führt im Schnitt zu unnötig hohen Erzeugungskosten. Die Korrektur des Modells im ursprünglich angedachten Sinne ist durch Herausrechnen des Parkwirkungsgrads einfach möglich.
- Die Mindestpreisregelung im EEG bietet den Stromerzeugern jeweils das Beste aus 2 Welten: Sind die Preise an der Strombörse im Monatsmittel niedriger als die gesetzliche Vergütung nach EEG, bekommen die Erzeuger die Differenz über die sogenannte Marktprämie ausgeglichen. Sind die Strombörsenpreise höher, erzielen die Erzeuger im Rahmen der merit order höhere Erlöse allein am Markt. Die Erzeuger sollten sich zwischen Markt und EEG-Vergütung entscheiden können. Aber wer das EEG in Anspruch nimmt, muss Erlöse, die die EEG-Vergütung überschreiten, zurückführen (CfD). CfD-Erlöse, die im Fond die Finanzierung der Marktprämien überschreiten, müssen an alle Stromkunden in gleichen Beträgen pro kWh zurückgeführt werden.
Im Arbeitspapier des BMWK werden Hemmnisse für die Sektorkopplung durch falsche Regulatorik angesprochen. (Nutzen statt abregeln) Das sind in der Tat wichtige Punkte. Hier sollten aber 2 weitere Punkte abgeräumt werden: Derzeit ist eine Entnahme von Strom für die Belieferung von Firmen oder für PtH-Anlagen über Direktleitungen im Rahmen des EEG nur möglich, wenn die Entnahme zu jedem Zeitpunkt den gleichen Prozentanteil an der Gesamterzeugung hat. Diese Beschränkung macht eine Direktlieferung faktisch unmöglich und es gibt dafür auch keine sachliche Begründung.
Wenn EE-Strom zur Wärmeerzeugung geliefert wird, ist es nicht vertretbar, diesen grünen Strom mit einer Stromsteuer von 2,05 ct/kWh zu belegen, wenn das sonst konkurrierende Erdgas nur mit einer Energiesteuer von 0,55 ct/kWh belegt ist.
Mit freundlichen Grüßen
Johannes Lackmann
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