„Schwerverletzte Person in hilfloser Lage in Rotorblatt eingeschlossen“: So lautet das Szenario, mit dem sich die angehenden Höhenretter der Feuerwehr Paderborn konfrontiert sehen. Ihr Einsatz an diesem Tag ist allerdings „nur“ eine Übung als fester Bestandteil der Ausbildung. Früh am Morgen trifft das Einsatzfahrzeug der Höhenrettung an der Windenergieanlage im Windpark „Huser Klee“ bei Lichtenau ein. Sofort zur Tat schreiten können die fünf Männer allerdings noch nicht. Zunächst wird der Einsatz mit Hauptbrandmeister Andreas Tegethoff, Leiter der Sondereinsatzgruppe Höhenrettung, unten im Bauch des Windrades bis ins Detail besprochen. Durch Service-Techniker Tandogan Harding erfolgt daran anschließend von Seiten des Betreibers WestfalenWIND eine Einweisung in die Anlage.
Dann ist alles besprochen und der Einsatz kann beginnen. Dafür ist gleich eine gute Kondition erforderlich. Denn die Einsatzkräfte müssen über die Leiter bis in die Gondel der Enercon-101 auf 147 Meter Höhe hoch klettern. Den Aufzug zu nehmen – der bis oben rund neun Minuten benötigt und in den jeweils nur zwei Personen passen – ist tabu. „Das würde zu lange dauern, bis alle oben sind“, erklärt Andreas Tegethoff, der die Retter anleitet und auch selbst mit anpackt. Man müsse jeden Zeitvorteil nutzen, in dem Fall die steile Eisenleiter nach oben. Denn: „Jede Minute zählt, die eventuell über Leben oder Tod entscheidet“, weiß er aus Erfahrung. Entsprechend gesichert, eilen die angehenden Höhenretter die Stufen hinauf, um sich dem Verletzten zu nähern, der von Service-Techniker Lennard Hils bei dieser Übung gemimt wird.
Wann hat man mal die Gelegenheit hoch auf ein Windrad zu kommen – und dann gleich so?!? Das war schon ein tolles Erlebnis.
Höhenretter Alex Kaller
Nun folgt der kniffligste Teil dieser Übung: die Rettung aus dem Rotorblatt. „Es handelt sich um die am schwierigsten zugängliche Stelle eines Windrades“, erläutert Tegethoff. Was er meint, wird beim Anblick der Einsatzstelle deutlich. Es ist brutal eng, wodurch jede Bewegung – auch zum Wohle des Patienten – wohl überlegt sein muss. Der Verletzte ist irgendwann erreicht und erstversorgt, die Rettung kann beginnen. „Langsam drehen, bis der Kopf hier ist“. „Jetzt langsam ziehen.“ Es wird viel kommuniziert unter den Einsatzkräften. Das ist auch nötig, um das Opfer sicher aus dem beengten Nadelöhr zu bringen. „Kriegen wir den überhaupt so hochgezogen? Überlegt mal!“, fordert Tegethoff seine Schützlinge zum ständigen Mitdenken auf. Es braucht seine Zeit, bis der „Verletzte“ über eine spezielle Halbtrage („Platztechnisch ist das nicht anders möglich“, so Tegethoff) aus dem Rotorblatt sicher und ohne besondere Vorkommnisse in die Gondel gehievt wird. „Das war der mit Abstand schwierigste Teil“, ruft der Leiter der Höhenrettung den künftigen Kollegen zu. Jetzt kann das Umlagern auf die normale Trage erfolgen. Es folgt eine kurze Pause zum Trinken und Verschnaufen. Das Angebot wird von den angehenden Höhenrettern – die ordentlich ins Schwitzen kommen – auch gerne in Anspruch genommen.
Die Unterbrechung bietet die Gelegenheit, um mit den Absolventen und ihrem Einheitsführer ins Gespräch zu kommen. „Ein Notfall im Windrad kommt ganz selten mal vor. Aber wenn es dann doch passiert, müssen wir darauf vorbereitet sein“, sagt Tegethoff. Deshalb ist die Feuerwehr dankbar, dass Übungen etwa in Anlagen von WestfalenWIND stattfinden können. Es ist die dritte Woche der Ausbildung. Vorangegangen ist eine Steilhang-Rettung, auch die Bergung eines Adipositas-Patienten mit starkem Übergewicht (bis zu 400 Kilo) wurde unter anderem simuliert. Auf einer Windenergieanlage war zuvor noch niemand der Prüflinge, wie alle Teilnehmer einhellig bestätigen. „Das ist schon etwas ganz Besonderes, weil so multifunktional“, schwärmt Kai Cardwell vom Einsatz. „Alle Komponenten, auf die wir uns einstellen müssen, sind unterschiedlich. Kein System greift ins andere. Das ist sehr herausfordernd, aber gleichzeitig total spannend.“ Hinzu komme der imposante Blick aus weit mehr als hundert Metern nach unten.
Spricht’s aus und beobachtet, wie seine Mitstreiter sich für den Abstieg aus der bereits geöffneten Luke bereit machen. Im Fachjargon wird vom so genannten „Mannloch“ gesprochen, Durchmesser 40 mal 50 Zentimeter, dass sich auf der Bodenseite des Maschinenhauses der Gondel befindet. Der Blick geht hindurch direkt hinunter in die Tiefe, wo Acker und Schotterfläche zu erkennen sind. Da kann einem schon schwindelig werden, wenn man nicht gerade Höhenretter ist. Durch jenes Mannloch erfolgt nun, nachdem sich alle Einsatzkräfte gestärkt haben, das
Abseilen der verletzten Person.
„So Jungs, jetzt zeigt mal was Ihr könnt“, fordert Tegethoff die angehenden Höhenretter mit einem Schmunzeln auf. Zwischendurch geht es auch immer mal locker zu, wofür im Ernstfall natürlich keine Zeit wäre. Trotz Übung wird es nun aber wieder Ernst, schließlich sollen alle Beteiligten sicher unten ankommen. „Macht bitte die Trage mit dem Patienten fertig“, lautet die nächste Anweisung vom Einheitsführer. Einher geht die aufwendige Sicherung mit Seilen und Karabinern – für den Patienten, aber natürlich auch die Einsatzkräfte. „Alex, du checkst Lothar. Volle Konzentration, Männer“, lautet das Kommando. Als alles passt und mehrfach kontrolliert ist, erfolgt das Ablassen. Ein Höhenretter begleitet den Verletzten nach unten, die anderen steuern oben mit Muskelkraft den sicheren Abstieg über das Seil. Nach und nach, Meter für Meter, nähert sich die Trage mit dem Patienten, fest im Griff des Retters, behutsam in Richtung Boden. Dort kommt sie rund zwölf Minuten später sicher an.
Nach mehreren Stunden ist der komplette Einsatz abgeschlossen. Alle Beteiligten sind zufrieden, als sie wieder festen Boden unter den Füßen haben. Die Übung war ein voller Erfolg, der Patient in Person von Service-Techniker Lennard Hils ist wohl auf. „Es ist richtig gut gelaufen“, bescheinigt Andreas Tegethoff seinen Schützlingen, die ihrerseits noch unter dem Eindruck des spektakulären Einsatzes und der großen Anstrengungen stehen. Alex Kaller verpackt seine Begeisterung in Worte: „Man kennt ein Windrad normalerweise ja nur von außen. Wann hat man mal die Gelegenheit drauf zu kommen – und dann gleich so?!? Das war schon ein tolles Erlebnis.“
Übrigens: Alle Anwärter haben inzwischen die Prüfung erfolgreich bestanden. Die Sondereinsatzgruppe Höhenrettung der Feuerwehr Paderborn wächst damit auf 26 Mitglieder an, die gerüstet sind für Einsätze auf einem Windrad oder anderen spektakulären Orten in luftiger Höhe – wobei natürlich die Hoffnung ist, dass ihre Hilfe möglichst nicht erforderlich wird.